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Werkstatt-Unterricht über Zoom? Digitaler Besuch im Museum? Gemeinsam Musizieren – remote in Echtzeit?

    «Lassen sich Lernprozesse, die bislang mit der Kopräsenz von Lehrenden und Lernenden in den Werkstätten, Labors, Ateliers und Proberäumen der Hochschule einhergehen und auch praktisch-manuelle Arbeit einschliessen, virtualisieren und digitalisieren? Wo liegen die Grenzen des Distance Learning in den verschiedenen angewandten Disziplinen?»

    Diesen Fragen geht das Teilprojekt «Analog_digital. Digitalisierungschancen in zwingenden Präsenzformaten in Design, Musik und Technik» in einer vergleichenden Studie nach. Ausgewählt wurden fünf Module, die an den Departementen Design Film Kunst, Technik & Architektur und Musik der Hochschule Luzern bis zum COVID 19-bedingten Lockdown selbstverständlich in den entsprechenden Räumlichkeiten am Campus oder in Museen und Sammlungen vor Ort stattfanden. Diese Module, in denen das praktische Machen, Tun, Beobachten, Gestalten, die Anwendung von zuvor vermittelten theoretischen Grundlagen und auch die Einübung von Teamarbeit essenziell sind, traf die Schliessung härter als Theoriemodule, in denen nach Lehrbuch unterrichtet werden kann. Um die Lehr- und Lernziele dennoch – mit möglichst wenig Abstrichen – erreichen zu können, digitalisierten die Dozierenden Unterrichtsmaterialien und Laborübungen mit technischen Aufbauten; sie erstellten Tutorials, Videos und Makrofotos, arbeiteten sich in Kommunikations- und Kollaborations-Plattformen ein, schickten den Studierenden Materialien und Werkzeuge per Post nach Hause; und teils improvisierten die Studierenden auch mit den Mitteln und Materialien, die sie zufällig zu Hause vorfanden.

    Die Ergebnisse dieser erzwungenen Ad-hoc-Umstellung auf Distance Learning waren, der Evaluation durch Studierende und Dozierende zufolge, in allen Modulen zufriedenstellend oder gut. Im Rahmen einer Curriculums-Reform am Departement Design Film Kunst wurde daher in allen Modulen sorgfältig abgewogen, bei welchen Lehreinheiten eine Digitalisierung von Vorteil ist und welche sinnvollerweise weiterhin in den Werkstätten, Ateliers und Museen vor Ort durchgeführt werden.

    Die vergleichende Analyse der fünf Module erfolgte anhand folgender Kriterien

    1. technische Machbarkeit der Digitalisierung des Lehrangebots
    2. (Un-)Möglichkeit der Vermittlung und Aneignung von explizitem, theoretischem Wissen und implizitem Wissen bzw. handwerklichem Können («Knowing-how»)
    3. Erwerb von sozialen Kompetenzen (Teamwork, Interdisziplinarität)
    4. Aufwand und Ertrag der Digitalisierung (aus der Perspektive von Studierenden und Dozierenden)

    Wie die Auswertung zeigt, bestehen hinsichtlich Digitalisierung und Distance Learning in den verschiedenen Disziplinen Gemeinsamkeiten, aber auch überraschende Unterschiede. Die verschiedenen Wissensbestände und Praktiken der Disziplinen und die damit verbundenen unterschiedlichen Zugänge in der Lehre wirken auf die Möglichkeiten von Digitalisierung und Distance Learning zurück.

    Hinsichtlich der technischen Machbarkeit zeigte sich beispielsweise, dass die Anforderungen an die Technologie in den Disziplinen sehr unterschiedlich sind. So waren die Kolleg:innen am Departement Musik damit konfrontiert, für das gemeinsame Musizieren über Internet in Realtime als erstes eine geeignete Applikation zu finden, da Programme wie Zoom, Teams, Skype etc. Audio-Signale mit einer Latenz von einigen Millisekunden übertragen. In der Sprachkommunikation stellt dies meist kein Problem dar, doch beim gemeinsamen Musizieren wirkt die Verzögerung sehr störend. Hingegen machte man am Departement Design Film Kunst die Erfahrung, dass das Bildmaterial, das Museen und Sammlungen von ihren Objekten bereitstellen, für die Studienzwecke im Textildesign viel zu wenig detailliert ist. Doch können bessere Fotos und Videos die haptischen und performativen Qualitäten von Textilien auch nicht einfangen.

    Dieses Defizit der Digitalisierung im Hinblick auf sinnliche Erfahrungen und die Ausbildung manueller Fähigkeiten und Fertigkeiten steht im direkten Zusammenhang mit der (Un-)Möglichkeit von Vermittlung und Erwerb von explizitem und implizitem Wissen. Die auf Michael Polanyi zurückgehende Unterscheidung zwischen diesen beiden Wissensformen ist hilfreich bei der Beurteilung, welche Lehr-Lern-Einheiten digitalisiert werden können und bei welchen dies prinzipiell nicht möglich ist.

    In den Modulen am Departement Technik & Architektur, in denen es um die digitale Durchführung von Laborübungen ging, wie auch bei drei Modulen am Departement Design Film Kunst wurde die Erfahrung gemacht, dass die Studierenden explizites Wissen aus online bereitgestellten Lernmaterialien – Lehrbücher, vertonte Präsentationen, Tutorials und Videos – sich sehr gut selbständig aneignen können. Anders verhält es sich beim Erwerb von erfahrungsgebundenem, implizitem Wissen, zu dem die praktisch-handwerklichen Fähigkeiten und Fertigkeiten gehören. Dieses Wissen kann nur durch eigene praktisch-handwerkliche Tätigkeit und im direkten Umgang mit Materialien und Werkzeugen erworben werden. In verschiedenen Modulen am Departement Design Film Kunst war das Erreichung der Lernziele während des Lockdowns daher nur möglich, da die Studierenden dies mit der Post zugeschickt bekamen oder mit dem improvisierten, was sie zu Hause hatten. Das war sicherlich suboptimal und eine komplette Umstellung dieser Module auf eine digitale Lehre steht ausser Frage.

    Abschliessend noch eine – vielleicht streitbare – Beobachtung zum unterschiedlichen Aufwand und Ertrag der Digitalisierung in den Disziplinen. Am Departement Technik & Architektur wurde bei der Digitalisierung der Laborübungen darauf geachtet, dass die Studierenden weitgehend selbstständig und in kleinen Gruppen lernen können. Auch die Rückmeldung, ob sie eine Aufgabe richtig oder falsch gelöst haben, lässt sich automatisieren. Dies entlastet den Dozierenden, der sich in der freigewordenen Zeit anderem zuwenden kann. Bei Projektarbeiten, wie sie die Studierenden des Departements Design Film Kunst erstellen, besteht dieser Vorteil nicht. Denn Kunst- und Designprojekte sind nicht einfach «richtig» oder «falsch», sondern werden von den Peers umfassend unter verschiedenen Gesichtspunkten beurteilt. Sie bedürfen eines ausführlich begründeten, qualitativen Feedbacks, das eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Projektarbeiten erfordert. Abgesehen von den zweifellos grossen Vorteilen, die digitale Lernmaterialien und Tutorials bieten, könnte der Nutzen digitaler Lehre in Design und Kunst womöglich geringer sein als in den technischen Disziplinen.

    Die Studie wird im Laufe des nächsten Monats abgeschlossen und auf einem eigenen Blog publiziert.

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    Hochschule Luzern – Design Film Kunst
    Dagmar Steffen
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    +41 41 248 61 74

    Image by chenspec at pixabay

    25. August 2023, Dagmar Steffen

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